Latein lebt - vivat lingua Latina!
Latein ist überall lebendig – wenn auch nicht auf den ersten Blick: Fast jeden Tag sitzen wir im Beruf oder in der Freizeit am Computer. Doch wenige wissen, dass das Wort Computer vom lateinischen Wort computare (rechnen) abstammt. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass Latein hilft, Fremdwörter zu verstehen.
Obwohl diese Sprache seit über 1000 Jahren nicht mehr gesprochen wird, war bei den oberen Bildungsschichten bis ins 19. Jahrhundert der Anspruch vorhanden, Latein im Bereich der Kirche und der Wissenschaft aktiv zu sprechen. Im Bereich der Wissenschaft und Bildung wird dies heute in veränderter Form verlangt: Zahlreiche Studiengänge, wie Germanistik, Jura oder Medizin, fordern Latein als Voraussetzung. Sogar im Kirchenstaat Vatikan ist die lateinische Sprache lebendig. Auf der Homepage des Radio Vaticana werden Messen in lateinischer Sprache gesendet und aktuelle Artikel des Kirchenstaates auf Lateinisch veröffentlicht. Letzteres hat beispielsweise auch der deutsche Radiosender Radio Bremen übernommen. So lassen sich beispielsweise die Rücktrittsabsichten Wowereits auf lateinisch nachlesen. Die Modernisierung der lateinischen Sprache führt dazu, dass moderne Ausdrücke, wie beispielsweise das telephonum manuale (Handy), in Lexika des neuen Latein aufgenommen werden.
In Zeiten der Europäisierung und Globalisierung zeigt sich Latein als sprachwissenschaftliche Wurzel des europäischen Sprachenbaumes. Ungefähr 90 Prozent! des Wortschatzes der Romanischen Sprachen stammt vom Lateinischen ab. Möchte man zum Beispiel im Italienurlaub sein acqua minerale (Mineralwasser) bestellen, erinnert sich so mancher Lateinschüler an das lateinische Wort aqua. Sogar im Englischen beträgt der Anteil der Wörter mit lateinischen Wurzeln ca. 50-60 Prozent. Für das Erlernen moderner (romanischer) Fremdsprachen ist Latein somit ein wesentlicher Faktor. Jedoch stellt die Übereinstimmung von Aussprache und Schreibweise im Lateinischen eine wesentliche Erleichterung – im Vergleich zu den Romanischen Sprachen – dar.
Auch die muttersprachliche Kompetenz wird durch das Lateinische geschult: Denn bei der Übersetzung lateinischer Texte ins Deutsche, stehen oft zahlreiche Übersetzungsmög-lichkeiten zur Verfügung. Es gilt hierbei stets, die treffende Ausdrucksweise durch Reflexion zu finden und ein Sprachgefühl zu entwickeln. So lässt sich bei Schülern mit Lateinunterricht feststellen, dass ihr Lese- und Textverständnis gefördert wird.
Diese Fähigkeit wird durch das Einüben von Genauigkeit, Logik sowie Konzentrationsfähigkeit erworben. Da es im Lateinischen Wörter mit zahlreichen deutschen Bedeutungen (Polyseme) gibt oder auch Wörter auftreten, die sich zum Teil in nur einem Buchstaben, aber dadurch in ihrer Wortbedeutung unterscheiden, erfordert das Lateinische viel Präzisionsarbeit. Bei der Entschlüsselung langer, mit Bedacht konstruierter Sätze gilt es zudem, grammatikalische und inhaltliche Zusammenhänge zu erschließen. Dabei werden Konzentration und Ausdauer verlangt – Kompetenzen, die im späteren Schul-, Studiums- und Berufsleben erforderlich sind.
Die Auseinandersetzung mit der antiken Kultur steht im Lateinunterricht ebenfalls im Vordergrund: Was ist Glück? Wieso leben wir in einer Demokratie? Wie ist das Verhältnis von Bürgern und dem Staat? Dies sind nur wenige Fragen, die im Lateinunterricht behandelt werden. So philosophiert man bei Seneca über die Grundhaltungen des eigenen Lebens. Bei Cicero werden die besten Staatsformen erörtert und man befasst sich mit dem Grund unseres Daseins, indem das Wirken der Götter in Bezug zur Menschheit gesetzt wird. Zudem erfährt man bei ihm, wie zu seiner Zeit gegen Staatsfeinde vor Gericht vorgegangen wurde (Catilina, Verres). Bei Frontinus wird uns das antike Wasserversorgungssystem Roms und seiner Provinzen erklärt. Plinius führt uns in die Welt der Naturwissenschaften und sein Neffe erzählt vom Vulkanausbruch bei Pompeji. Bei Cäsar liegt uns einen Kriegsbericht eines Vertreters der Großmacht Rom über die Situation in der feindlichen Region Gallien vor. Sind hierbei denn nicht Vergleiche zum Russland-Ukraine-Konflikt erkennbar? Was auf den ersten Blick so alt und verstaubt erscheint, begegnet uns tagtäglich.
Doch entscheidend sind stets die Faszination und der Spaß an dem Gesamtkomplex „Latein“: Beim Durchblättern eines Asterix-Comics, beim Besuch einer antiken Thermenanlage (z.B. APC in Kempten) oder der Römertage in Aalen schlagen die Herzen eines jeden „Römers“ höher.
Latein lebt – vivat lingua Latina! (Stefan Mayer / D. Eckert)